© Nicoline Haas

Stilbewusster Ordnungshüter

Sammlungsbesichtigung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Klaus Stemmler ist Sammlungsverwalter mit Liebe zum Objekt. Denn neben dem geschulten Ordnungssinn bringt der gelernte Konditor viel Sinn für schöne, alte Dinge mit. Seine Vorlieben: Möbel, Mode und Filmmusik der 1920er bis 1940er Jahre. Unsere Autorin Nicoline Haas hat ihn an seinem Arbeitsplatz im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg besucht.

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Klaus Stemmler stöbert gern auf Antikmärkten nach gut erhaltenen Schellackplatten, die er zuhause artgerecht auf seinem Grammophon rotieren lässt. Zu seinen Schätzen zählen Filmmusiken wie „Der blaue Engel“ und „Karneval der Liebe“. Der 49-Jährige schwärmt auch für Art Deco- und Bauhaus-Möbel. Im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) am Hamburger Steintorplatz, nur ein paar Schritte vom Hauptbahnhof entfernt, hat er täglich mit Objekten der Begierde zu tun. „Es ist schon verführerisch, inmitten all dieser schönen und nützlichen Dinge zu arbeiten“, gesteht er, „aber bei den meisten freue ich mich einfach, sie zu sehen – ich muss sie nicht besitzen.“

„Schatzkarte“ für das klimatisierte Depot auf dem Dachboden

Seit 2013 ist der Hamburger einer von vier Sammlungsverwaltern im MKG. Er kümmert sich um alle dreidimensionalen Designobjekte und Kunstwerke der Moderne, ab circa 1850 bis heute: insgesamt über 150.000 Stücke. Nur etwa fünf Prozent sind ausgestellt. Der Rest lagert auf dem Dachboden in klimatisierten Depots, getrennt nach Material: Metall, Holz, Glas, Keramik und Elektro. „Zur Konservierung muss beispielsweise Holz etwas feuchter und Metall sehr trocken gelagert werden“, erklärt Klaus Stemmler. Seine Herausforderung besteht darin, in diesem gewaltigen Fundus den Überblick zu behalten. Um jedes Teil bei Bedarf sofort aufzufinden, führt er ein Standortverzeichnis; Regale und Vitrinen sind durchnummeriert und alle Objekte beschriftet. Ist er auch privat so ordentlich? „Nein, nur meine Platten sind gut sortiert.“

Reisebegleitung für Zerbrechliches

An diesem Morgen soll Klaus Stemmler einige Designklassiker zum Verleih an ein Museum in Madrid heraussuchen. Er schließt die Tür zum Metalldepot auf und rückt eine Leiter an ein raumhohes Regal. Oben angekommen, streift er seine Baumwollhandschuhe über und greift mehrere Teile aus Lochblech heraus, darunter eine Menage für Pfeffer, Salz, Essig und Öl. Die industriell anmutenden Tischwaren der „Wiener Werkstätte“, entworfen von Josef Hoffmann um 1905, treffen seinen Geschmack. Behutsam legt er die Sachen auf einen Wagen. Vor Verlassen des Metallraums muss er aber noch seine Lieblingskuh streicheln, eine Bronze von Ewald Mataré, „die ist so glatt und elegant.“

Den Leihverkehr samt Beauftragung einer Kunstspedition regelt eine Registrarin. Fragilen Stücken stellt sie am Zielort eine kundige Begleitung zur Seite: Klaus Stemmler reiste zuletzt einer Miró-Figur nach Graz hinterher. „Nur ich durfte sie im Kunsthaus auspacken und in der Vitrine einrichten“, sagt er und fährt mit einer Hand kokett durch das lange Deckhaar seines Fassonschnitts. Zum Glück sei ihm noch nie etwas runtergefallen.

Neuzugänge werden zuerst von Restauratoren begutachtet, dann wie für ein Fahndungsfoto von allen Seiten fotografiert. Nun ist Klaus Stemmler an der Reihe, die Objekte zu „inventarisieren“: Bevor er sie im Depot einsortiert, versieht er sie mit einer einzigartigen Inventarnummer und trägt wichtige Infos wie Stilepoche, Herkunft und Material in eine Datenbank ein. Noch seien längst nicht alle Objekte im Haus digital erfasst, geschweige denn mit Foto, verrät der Sammlungsverwalter. Da habe er noch viel Fleißarbeit vor sich.

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Föhne, Bronzestatuen, Masken: Klaus Stemmler bewacht rund 150.000 dreidimensionale Designobjekte und Kunstwerke der Moderne.

»Im Grunde musst du nur wissen, wo die Dinge liegen.«

Seinen Sinn für Ästhetik brachte Klaus Stemmler schon in ganz anderer Umgebung zur Anwendung: Er hat Konditor gelernt und jahrelang Torten gebaut und Marzipan modelliert. Als ihm das süße, aber anstrengende Handwerk nicht mehr gefiel, stieß er per Zufall auf eine Anzeige des Museums der Arbeit: Sammlungsverwalter gesucht. In Barmbek managte er dann acht Jahre das gesamte Inventar, von der Dampfmaschine bis zum Fingerhut. „Ich kam ins Museum wie die Jungfrau zum Kinde“, erzählt Klaus Stemmler amüsiert. „Fachkenntnisse zur Materie wurden nicht verlangt. Als Sammlungsverwalter musst du im Grunde nur wissen, wo die Dinge liegen. Doch es macht natürlich mehr Spaß, wenn du mit den Dingen auch etwas anfangen kannst.“

Im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg blüht der Designfan auf. Über bestimmte Gestalter wie Ettore Sottsass oder Wilhelm Wagenfeld liest er alles nach, was er in die Finger kriegt, oder er befragt die Experten im Haus. Er wächst auch kreativ über seinen Tätigkeitsbereich hinaus: Architekten wie Kuratoren schätzen sein Händchen für schöne Präsentationen. Kürzlich ging er mit seiner Chefin, der Kunsthistorikerin Dr. Claudia Banz, gemeinsam shoppen, suchte für eine Silberwaren-Schau bunte Designer-Tapeten aus.

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Bevor er ans MKG wechselte, verwaltete Klaus Stemmler die Sammlung des Museum der Arbeit im Hamburger Stadtteil Barmbek.

»Der Plastikföhn ist bald selten und kostbar – weil ihn fast jeder weggeworfen hat«

Gibt es auch Stücke in seiner Abteilung, die er nicht schön findet? „Klar! Der blumige Jugendstil ist nicht meins. Und im Elektrodepot steht viel Hässliches.“ Dort steuert Klaus Stemmler auf eine Reihe Haartrockner zu: „Gucken Sie sich mal diesen Plastikföhn von 1992 an. Bald ist der ganz selten und kostbar – weil ihn fast jeder weggeworfen hat!“ Lachend nimmt er ein schweres, fast 100 Jahre altes Modell in die Hand, das er für museumswürdiger hält: mit rundem Edelstahlgehäuse, Drehschalter und Holzgriff.

In der Sammlung Design im 2. Stock sind ausgewählte Objekte in einem 55 Meter langen Archivregal präsentiert – neben Möbeln, Wohnaccessoires und Schmuck auch diverse Apparate: vom Gesichtsbräuner bis zum Massage-Set, vom Plattenspieler bis zum I-Pod. Spannend findet der Sammlungsverwalter: „Die Leute haben einen Alltagsbezug zu den Dingen und reagieren darauf: Hey, so’n altes Radio steht doch in Onkel Willis Werkstatt!“

Beim Gang durch die Ausstellungen wischt er Staub (eigentlich nicht sein Job), rückt kopfschüttelnd Exponate zurecht („Wieso steht bitteschön diese Schublade offen?“) und bestaunt seine persönlichen Favoriten. In der Sammlung Moderne sind dies die expressionistischen „Tanzmasken“ von Lavinia Schulz und Walter Holdt aus dem Jahr 1923. Einige Kostüme ähneln Robotern oder Comic-Wesen – sie könnten glatt aus der heutigen Zeit stammen. Die Geschichte dazu kennt Klaus Stemmler auch: „Lavinia erschoss 1924 ihren Walter und dann sich selbst! Die Tanzmasken erhielt unser Museum. Doch sie galten als verschollen und wurden erst 2006 auf dem Dachboden wiederentdeckt!“

"Ich kam ins Museum wie die Jungfrau zum Kinde." – Klaus Stemmler, Sammlungsverwalter im Museum für Kunst und Gewerbe
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Begeh- und berührbares Kunstwerk

Clou der Designschau ist die Spiegel-Kantine von Verner Panton (1969). Als das weltbekannte Medienhaus 2012 von der Brandstwiete an die Ericusspitze umzog, schenkte es die Einrichtung dem MKG. Der orangerote Speiseraum mit Snackbar wurde eins-zu-eins ins Museum verpflanzt. Klaus Stemmler lässt den Blick über die gemusterten Teppiche und Tischplatten und über die Wandpaneele mit ihren halbkugelförmigen Leuchten schweifen. „In so ‘nem knalligen Ambiente würde mir abends ein Cocktail schmecken“, sagt er, „aber eine Roulade mit Rotkohl und Knödeln?“ Dass die Spiegel-Kantine auch zu mieten ist, findet der Sammlungsverwalter skurril: „Wir achten darauf, dass die Besucher nirgendwo Hand anlegen, aber wenn sie hier ihre Party feiern, essen und trinken sie ohne Tischdecke auf den Emaille-Platten!“ Da kommt in ihm doch ein wenig der Bewahrer durch. Trotzdem ist ihm klar, dass so ein Raumkunstwerk nicht nur konserviert, sondern auch erlebt werden müsse. Denn Dinge berühren noch mehr, die man – wie er – auch berühren darf.

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