
Mit der Rikscha durch Hamburg
Auf dem Rücksitz einer Rikscha wird Hamburgs Altstadt zum fließenden Panorama. Autorin Lena Frommeyer hat Stadtführer Stephan Oelke auf einer Rundfahrt begleitet – und festgestellt: Mit dem Rad kommt man oft ganz nah ran.

Es klappert und ruckelt, als Stephan Oelke die kleine Stufe vor dem alten Kontorhaus am Nikolaifleet nimmt. Er will noch etwas näher an den Laeiszhof herankommen. Von hinten surrt beruhigend der Elektromotor, während er sein Gefährt an den Bänken vorbeimanövriert, die für Fußgänger aufgestellt wurden. Das ist der große Vorteil einer Fahrt durch Hamburg mit der Rikscha: „Die Schleichwege in der Altstadt sind für die Stadtrundfahrtenbusse und Taxen viel zu schmal“, so der 35-Jährige.
Vom Nebenjob zum Beruf – Wie wurde Stephan Riksha-Fahrer?
Wie in Asien verdienen die Hamburger Fahrer auf selbständiger Basis ihr Geld. Die Rikschas sind gemietet. Stephan Oelke setzte sich als Student erstmals hinters Steuer. Das war vor siebeneinhalb Jahren. Er suchte einen flexiblen Nebenjob, bei dem er an der frischen Luft und seiner Heimatstadt besonders nah sein kann. Mittlerweile kennt man ihn in den Straßen: Er grüßt Ladenbesitzer, gibt Kneipenwirten die Hand und schnackt an den Sammelpunkten mit Kollegen. Viele Fahrer kommen eigentlich aus anderen Branchen – sind Fotografen, Ingenieure oder Künstler. Stephan Oelke hat Sozialökonomie studiert.
So nah kommt man Hamburg selten: Unterwegs in der Rikscha
Drei Meter lang, gut einen Meter breit und 130 bis 150 Kilo schwer ist Stephan Oelkes Arbeitsgerät. In seinem Fahrradtaxi zeigt er Hamburg-Besuchern die schönsten Orte der Altstadt, spektakuläre Bauten der HafenCity und das St. Pauli hinter der Reeperbahn. Seine Rikscha hat nicht viel mit den rostigen Gefährten zu tun, die der ein oder andere Fernreisende vielleicht von den staubigen Straßen Indiens kennt. Eine große Kunststoffkabine, ein leistungsstarker Elektromotor und wendige Laufräder gehören zur Standardausstattung der modernen Kutschen. Die Firma, die sie herstellt, kommt aus Berlin. Durch die Hauptstadt rollten bereits Ende der 1990er die ersten Velos. Zwei Architekten holten den Trend später an die Elbe.




Enge Gassen, Ein- und Ausblicke: Stephan Oelke erzählt unterwegs die Stadtgeschichte.
Er steuert auf die Deichstraße zu. „Ein echter Geheimtipp. Bevor ich Stadtführer wurde, kannte ich sie auch nicht.“ Pittoreske Bürgerhäuser säumen das Kopfsteinpflaster – auf der Rückseite fließt das Nikolaifleet. Eiserne Tore verhindern, dass das Wasser die Gebäude überschwemmt. Ebbe und Flut kann man an den Spuren der Außenmauern ablesen. An Orten wie diesem erzählt Stephan Oelke spannende Geschichten. Zum Beispiel über den großen Brand von 1842, als die Flammen von der Deichstraße auf die Speicher am Rödingsmarkt übergriffen. „Danach war es verboten, Fachwerkhäuser zu bauen.“
Es geht am Aalspeicher vorbei. Das Fischlokal ist kürzlich 40 Jahre alt geworden. Die Champagnerflasche steht noch im Schaufenster. Vor dem Kolonialwarenladen nebenan zieht Stephan Oelke die Bremse. Heino Großhaus steht vor seinem Geschäft, das an einen alten Krämerladen erinnert. Im Innenraum stapeln sich bunte Blechdosen, in denen früher Kaffee, Zucker oder Waschmittel aufbewahrt wurde, bis unter die Decke. „Sie stammen aus jahrzehntelanger Sammelei“, so Großhaus. Sein uriges Lokal ist ein beliebter Treffpunkt für Rikscha-Fahrer, um eine Frikadelle zu essen oder sich im Winter bei einer heißen Suppe aufzuwärmen.
Klempnerei wird Fahrrad-Hotspot
Nächstes Ziel: Landungsbrücken. Die Autos stauen sich aber Stephan Oelke zieht gemächlich an der Blechlawine vorbei und die Promenade hoch. Sein Blick schweift aus Gewohnheit nach links und rechts. Pärchen mit einem Stadtplan in der Hand sind potenzielle Kunden – aber auch Geschäftsleute, die im Berufsverkehr schnell zum Hauptbahnhof wollen. Eine klassische Stadtrundfahrt dauert mindestens eine Stunde. Vor Jahren war er mit einem amerikanischen Touristen sogar fünf Stunden unterwegs. „Obwohl er etwa 1,90 Meter groß und ähnlich breit war.“ Eine schweißtreibende aber unterhaltsame Tour.
Die nachmittägliche Rikscha-Runde führt über Brücken und Gassen der Hamburger Altstadt
Die Fahrt neigt sich dem Ende zu. Stephan Oelke kurvt an der Elbphilharmonie vorbei, dreht eine Runde durch die HafenCity und hält in der Speicherstadt vor einem Ort, den seine Fahrgäste normalerweise nicht zu Gesicht bekommen: In der Dienerreihe liegt die Garage und Werkstatt der Verleihfirma. Früher war in dem historischen Gebäude eine Klempnerei untergebracht. Heute stehen Rikschas auf dem über hundert Jahre alten Fußboden. Ihr Elektromotor wird aufgeladen oder sie warten auf eine Inspektion. Stephan Oelke stellt sein Gefährt dazu. Für heute ist Feierabend und er hat es sich verdient, die Beine hochzulegen.